Zelldifferenzierung – Der Mensch aus der Zelle

Ein Winzling im Winzling im Winzling: So stellte man sich noch im 19. Jahrhundert den Menschen vor. Klein, aber komplett sollte er je nach dem vorherrschenden Stellenwert der Frau entweder in der Eizelle oder im Spermium vorgeformt sein. Und in diesem Menschlein steckten bereits seine noch viel winzigeren Kinder, welche wiederum die Enkel in sich trugen und so weiter. Die Kirche steuerte die Erkenntnis bei, dass also die biblische Eva uns alle in sich getragen habe.

Ganz so abwegig war diese Lehre nicht, denn in gewisser Weise steckt in der befruchteten Eizelle schon ein Mensch – oder zumindest die komplette Bauanleitung für ihn. Aus der Eizelle entstehen durch Teilungen Tochterzellen, und diese wachsen, wandern und wandeln sich, bis in wenigen Monaten aus einer fliegendreckgroßen Zygote ein vollständiger Mensch geworden ist. Gerade erst beginnen wir zu begreifen, was dabei passiert.

Bei vielen Tieren legt schon die Eizelle fest, wo einmal Kopf und Fuß, Bauch und Rücken des Embryos liegen werden. Der Grund dafür ist die ungleiche Verteilung der Zellbestandteile im Zytoplasma. Die Boten-RNA für manche Proteine liegt zum Beispiel nur in einer bestimmten Zellregion vor. Wenn sich die Zelle dann bei den ersten Teilungen abschnürt, enthalten nur einige wenige der Tochterzellen die Boten-RNA – und nur sie bilden das entsprechende Protein, welches dann das weitere Schicksal der Zellen bestimmt.
Bei den Säugetieren, zu denen auch der Mensch gehört, ist die Zukunft der ersten Zellen eines Embryos offenbar noch nicht festgelegt. Diese embryonalen Stammzellen sind noch totipotent, das heißt sie können sich zu jedem beliebigen Körpergewebe weiter entwickeln. Diese Fähigkeit macht sie für Forschung und Medizin so interessant. Doch nach etwas mehr als einem Tag sind auch die Zellen des menschlichen Embryos weitgehend in ihrer Entwicklung festgelegt.

Je mehr der Embryo wächst, desto spezialisierter werden seine Körperzellen. Sie kommunizieren miteinander und beeinflussen sich gegenseitig. Manche Zellen wachsen oder wandern, andere schrumpfen oder bringen sich zum Wohl der Gesamtheit um. Ein Beispiel für diesen zellulären Selbstmord, Apoptose genannt, sind die Schwanzzellen der Kaulquappe: Sie sterben bei der Entwicklung zum Frosch ab. Auch im erwachsenen Organismus ist die Apoptose ein wichtiger Notanker: Ist das Erbgut einer Zelle etwa durch UV- oder Röntgenstrahlen zu stark beschädigt, bringt die Zelle sich selbst um, damit sie nicht außer Kontrolle gerät und die Schäden bei der Zellteilung weiter gibt. Dieser Mechanismus ist in den meisten Krebszellen außer Kraft gesetzt.

Doch bei aller Spezialisierung: Fast alle Zellen haben das gleiche Erbgut. In jeder Zelle wird jedoch nur der Teil des Erbguts abgelesen, der für sie notwendig ist. So besitzen zum Beispiel alle Körperzellen das Gen für den roten Blutfarbstoff Hämoglobin – aber nur in den roten Blutkörperchen wird er auch produziert. Der weitaus größte Teil des Erbguts einer Körperzelle ist stillgelegt. Zur Zeit vermutet man, dass diese Bereiche durch Methylierung, also durch Anhängen eines kleinen Moleküls, markiert werden.
Dass man diese Stilllegung auch rückgängig machen kann, beweisen Klonierungsversuche. Dabei werden die Zellkerne ausgewachsener Körperzellen in entkernte Eizellen gebracht. Die entstehenden Embryonen besitzen somit exakt das gleiche genetische Material wie das Tier, dem die Körperzellen entnommen worden sind – eine perfekte genetische Kopie. Auf diese Weise wurden schon in den sechziger Jahren zum ersten Mal Frösche geklont. Inzwischen ist das Verfahren auch bei Säugetieren geglückt: 1997 stellte er schottische Forscher Ian Wilmut das Klonschaf Dolly vor.

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