Das Genom ist ein alter Hut. Spannend ist, was danach kommt. Denn es sind die Proteine, welche alle Vorgänge des Lebens steuern. Ihr Zusammenspiel zu ergründen ist die nächste große Herausforderung der Biowissenschaften.
Wenn man eine Zelle zu einem bestimmten Zeitpunkt untersucht, zeigt sich, dass sie bei Weitem nicht den gesamten Satz an Proteinen herstellt, den sie erzeugen könnte. Die allermeisten Gene einer Zelle werden niemals abgelesen. Umgekehrt entstehen aus bestimmten Genen mehrere verschiedene Proteine. Diese Gene sind aus Modulen aufgebaut, die unterschiedlich zu Botenmolekülen zusammen gesetzt werden können. Entsprechend fertigt die Ablesemaschinerie der Ribosomen unterschiedliche Proteine. Auf diese Weise können beispielsweise die Zellen der Körperabwehr in kurzer Zeit Antikörper gegen die unterschiedlichsten Erreger herstellen. Viele Wissenschaftler halten die Proteinausstattung einer Zelle, also das Proteom, für biologisch aussagekräftiger als das Genom.
In einem papierdünnen Gel lassen sich sich Protein nach Größe und Ladung auftrennenEs ist nicht einfach festzustellen, welchen Satz an Proteinen eine Zelle tatsächlich aufweist. Moderne Verfahren erlauben es aber, bis zu 10.000 verschiedene Proteine duch die so genannte zweidimensionale Gelektrophorese voneinander zu trennen – in Folien von der Größe eines Blattes Schreibpapier, auf denen jedes Protein in einem Punkt gesammelt wird: Die Folie besteht aus einem Material, das für Proteine durchlässig ist. Allerdings kommen große Proteine darin nicht so schnell voran wie kleine. Stellt man sich die Folie wie einen Wald vor, dann wäre das kleine Proteine ein Hase, der rasch zwischen den Baumstämmen hindurchlaufen kann. Das große Protein wäre hingegen ein Hirsch, der immer wieder hängen bleibt. Nach einiger Zeit wäre der Hase weiter als der Hirsch.
Das Prinzip der Gelelektrophorese: Kleine Proteine (Hase) kommen schneller als große (Hirsch) in den Fasern des Gels (Wald) voran.Bei der zweidimensionalen Gelelektrophorese wird nun die Laufrichtung um 90° geändert und ein elektrisches Feld angelegt, so dass die Proteine zusätzlich nach ihrer Ladung getrennt werden. Übertragen auf unser Beispiel würde nun das Auftauchen eines Spaziergängers von der Seite gleichgroße, aber unterschiedlich ängstliche Tiere trennen.
Doch auch nach einer solchen Auftrennung sind noch viele Fragen offen. Zum Beispiel: Welcher Punkt steht für welches Genprodukt? Hier hat eine Methode große Fortschritte gebracht, die aus der chemischen Analytik stammt. Mit Hilfe der so genannten Massenspektrometrie ist es inzwischen möglich, den Aufbau eines Proteins auch aus der winzigen Menge einer solchen Probe voll automatisch zu bestimmen.
Selbst wenn man die Struktur eines Proteins kennt, sagt das noch nichts darüber aus, welche Aufgabe es in der Zelle erfüllt. Einen Hinweis darauf erhält man am ehesten, wenn man es außer Gefecht setzt. So ähnlich würden vielleicht Wesen von einem anderen Stern vorgehen, wenn sie wissen wollen, wozu die Einzelteile eines Autos da sind – was passiert etwa, wenn man die Bremsbacken oder die Nockenwelle entfernt?
Für die medizinische Diagnostik sind Proteom-Analysen erst sinnvoll, wenn man die Proteine mehrerer Zellen miteinander vergleicht – zum Beispiel jener von verschiedenen Spendern. Dazu müsste es gelingen, die Unterschiede von möglichst vielen Proteinen gleichzeitig zu erfassen. In bisherigen Versuchen sind auf so genannten „Protein-Chips“ erst 20 bis 30 parallele Tests möglich. Aber auch diese eher bescheidene Zahl könnte für bestimmte Anwendungen interessant werden, zum Beispiel in der Allergiediagnostik.
Medizinische Anwendungen stehen auch im Mittelpunkt des Projekts „Proteom-Analyse des Menschen“, welches das Bundesforschungsministerium seit Ende 1999 mit 80 Millionen Mark finanziert. Anhand einer bestimmten Form des Rheumas wollen die beteiligten Gruppen herausfinden, wie sich die Proteinzusammensetzung von kranken und gesunden Zellen unterscheidet. Und dabei hoffen die Forscher auch, die Unterschiede zwischen verschiedenen Patienten herauszufinden. Die muss es geben, denn nicht jeder spricht auf eine Therapie gleich gut an. Daher könnte die Proteomforschung die Medizin des 21. Jahrhunderts um eine neue Dimension erweitern: nämlich die Möglichkeit zur individuellen Behandlung. Denn das Proteom könnte darüber Aufschluss geben, ob ein Medikament überhaupt wirken kann und welche Dosis man für einen gewünschten Effekt wählen muss – zum Beispiel bei einer Chemotherapie gegen Krebs.
Bei der 2D Gelelektrophorese wird zuerst nach der äußeren Ladung aufgetrennt (Probe wird auf einen sogenannten IPG-Strip aufgetragen eine Spannung angelegt) und danach dieser Strip auf das Gel der länge nach auf gelegt, damit durch Anlegung einer weiteren Spannung das Gel größenseparierend durchwandern können.
mfg Sven Dressler