Um ihre zerstörerische Kraft zu entfalten, müssen Viren zunächst die Zellmembran überwinden und in ihre Zielzellen eindringen. Nun gelang es erstmals, Viren in Echtzeit bei diesem kritischen Schritt zu beobachten. Die Erkenntnisse könnten neue Ansätze für die Entwicklung von antiviralen Arzneimitteln bieten.
Der Film erinnert an ein verschlüsseltes Satellitenprogramm: Blaugraues Rauschen, dazwischen ein heller Punkt, der über den Bildschirm wandert. Doch die Fachwelt ist begeistert: „Wir sind zum ersten Mal in der Lage, den Infektionsweg eines einzelnen Virus in die Zelle zu beobachten“, sagt Christoph Bräuchle von der Abteilung physikalische Chemie der Ludwigs-Maximilian-Universität (LMU) München. Seine Arbeitsgruppe filmte gemeinsam mit den Kollegen um Michael Hallek vom Genzentrum der LMU farbmarkierte Viren beim Angriff. Wie die Forscher im Fachmagazin Science schreiben, brachten sie dazu eine kleine Farbstoffmarkierung an der Virushülle an, die sich im Mikroskop darstellen ließ. So konnten sie das Virus verfolgen: Virus-Tracing heißt der englische Fachbegriff dafür. „Wir sehen, dass die Infektion viel schneller vonstatten geht als bisher angenommen wurde – innerhalb von Minuten anstatt von Stunden.“
Christoph Bräuchle (links) und Michael Hallek von der LMU München
Ein Virus (rot) tummelt sich zwischen Zellmembran und Kern.
In den kurzen Filmen sind verschiedene Viren bei dem Versuch zu sehen, in eine Zelle einzudringen. Eines davon stößt mehrmals vergeblich gegen die Zellmembran. Einem anderen Angreifer gelingt es zunächst einzudringen, bevor die Reise abrupt stoppt. „Wir bekommen ein Drehbuch, nach dem die Infektion abläuft“ sagt Bräuchle. Sehr zielstrebig geht ein drittes Virus vor: Kaum ist es in der Zelle, wandert es geradlinig in den Zellkern. Die Forscher vermuten, dass die Viren dazu so genannte Motorproteine nutzen, die in der Zelle Stoffe entlang des Zellskeletts transportieren: „Indem sie sich auf den Rücken eines solchen Motorproteins setzen, werden sie entlang der Mikrotubuli wie auf Schienen transportiert.“
Die Wege dreier Viren bei dem Versuch, in eine Zelle einzudringen: Nur ein Virus (blau) gelangt bis zum Zellkern.
Damit lassen sich antivirale Substanzen jetzt direkt testen: So kann man etwa untersuchen, ob eine Substanz das Eindringen der Viren in die Zellen hemmt, und vor allem, bei welchem Zwischenschritt dies stattfindet. Dies könnte zu neuen Therapien gegen Viruserkrankungen wie AIDS oder Grippe führen.
Ein weiteres Einsatzgebiet der Technik könnte die Gentherapie werden. Viren dienen häufig als Vektoren, die Gene in kranke Zellen einschleusen sollen. Mit dem Virus-Tracing könnten diese Vektoren nun optimiert werden: „Der Gentransfer ist bisher viel zu ineffizient. Das ist die Achillesferse der Gentherapie“, sagt Hallek. In einer Erweiterung der Technik soll es künftig auch möglich sein, die DNA eines Virus anzufärben. Damit käme man dem letzten und entscheidenden Schritt einer Virusinfektion auf die Spur: wie es dem Virus gelingt, seine virale Erbsubstanz in das Genom der infizierten Zelle zu integrieren.