Tuberkulose – Comeback eines Killers

Chopin ist ihr erlegen und Tschechow auch. Franz von Assisi hat sie genauso dahin gerafft wie Madame Pompadour. Auch Friedrich Schiller ist ihr Opfer, während sie Goethe, der sich ebenfalls ansteckte, verschont hat. Noch 1882, als Robert Koch den Grund ihres Wirkens entdeckte und als „säurefesten, fiedelbogenartig gekrümmten Bazillus“ beschrieb, tötete die Tuberkulose ein Siebtel der Deutschen und war Europas häufigste Todesursache.

TBC

Im vergangenen Jahrhundert hat sich dieses Bild gewandelt. Der Erreger Mycobacterium tuberculosis war seit Robert Kochs Entdeckung bekannt, eine wirksame Therapie vorhanden, die Zahl der Neuinfektionen gering und die Schwindsucht, wie die Krankheit meist hieß, war ein Wort aus vergangener Zeit. Noch immer tötete die Tuberkulose Millionen, aber sie wütete nur noch in den Entwicklungsländern, und das war leicht zu übersehen. Eine trügerische Sicherheit: Nun ist sie wieder da, die Schwindsucht, und sie ist gefährlicher denn je.

Mycobacterium tuberculosis kann jedes Organ befallen, obwohl die Lungentuberkulose die häufigste Krankheitsform ist. Das Bakterium gelangt über Tröpfcheninfektion, also das Einatmen winziger Speicheltröpfchen, in die Lunge, befällt dort Fresszellen und löst dadurch eine kleine, beschwerdefreie Entzündung aus. Dieser so genannte Primärkomplex ist nicht ansteckend und bleibt meist das einzige Zeichen der Tuberkulose: Ein gesundes Immunsystem macht die Erreger schnell unschädlich. Nur zehn Prozent aller Infizierten entwickeln eine offene Tuberkulose, in der die Erreger massenhaft die Lunge befallen und so über den Atem weiter verbreitet werden können.

Doch Mycobacterium tuberculosis ist hartnäckig. Das Bakterium versteckt sich oft über Jahre hinweg – unsichtbar für das Immunsystem – in bestimmten Wirtszellen innerhalb des vernarbten Primärkomplexes. Auf diese Weise kann eine Tuberkulose nach Jahren plötzlich wieder ausbrechen, wenn schlechte Lebensumstände oder Krankheiten das Immunsystem lahm legen. Die Tuberkulose ist daher eine Elendskrankheit: Armut, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und AIDS sind die Hauptverbreiter der Schwindsucht. Ihre Opfer findet sie vor allem in den Entwicklungsländern und in Krisengebieten, wo Kranke keinen Zugang zu den nötigen Medikamenten haben.

Denn mit der richtigen Therapie sind die Heilungschancen selbst bei einer offenen Tuberkulose gut. Die Ärzte rücken dem Bakterium mit einer Kombination von zunächst vier, dann zwei Antibiotika zu Leibe, und das für mindestens sechs Monate. Diese Standardtherapie versprach einmal fast 100%ige Erfolgschancen – bis die ersten resistenten Erreger auftauchten. Wenn die Medikamente nur unregelmäßig eingenommen oder vorzeitig abgesetzt werden, überleben besonders diejenigen Erreger, die gegenüber einem oder mehreren Wirkstoffen unempfindlich sind. Diese resistenten Stämme verbreiten sich schnell und sind entsprechend schwieriger zu bekämpfen.

Erschreckend ist die Entwicklung in Osteuropa: Jedes Jahr treten dort eine Viertelmillion neuer Tuberkulosefälle auf, und in manchen Staaten ist bereits ein Drittel der Erreger gegen mindestens einen Wirkstoff der Standardtherapie resistent – und viele gleich gegen mehrere. Längst steigt auch die Zahl resistenter Erreger in Deutschland – die Schwindsucht steht also wieder vor unserer Tür, und sie wird immer aggressiver.

Alarmiert durch die neue alte Gefahr, sucht man nun verstärkt nach einer wirksamen Tuberkulose-Impfung. Die vorhandenen Impfstoffe geben einen unzureichenden Schutz: Weil sich Mycobacterium tuberculosis in körpereigenen Zellen versteckt, ist er für herkömmliche Impfstrategien nicht zugänglich. Neue Erkenntnisse über die Funktion des Immunsystems lassen nun hoffen, dass es gelingt, die Bakterien auch in ihren Verstecken aufzuspüren. Bei weltweit drei Millionen Tuberkulose-Toten im Jahr ein wichtiges Ziel – auch wenn sie heute nicht mehr so prominent wie Chopin oder Schiller sind.

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