Das Erbgut von Mensch und Schimpanse ist zu 98,7 Prozent identisch. Bisher war es den Forschern ein Rätsel, wie aus den verbleibenden 1,3 Prozent die geistigen und körperlichen Differenzen zwischen Affe und Mensch entstehen – schließlich unterscheiden sich schon zwei Fruchtfliegen in durchschnittlich einem Prozent ihres Erbgutes. Max-Planck-Wissenschafter haben nun heraus gefunden, dass für dieses Phänomen nicht nur die Gene selbst, sondern auch deren Benutzung entscheidend ist.
98,7 Prozent gleiches Erbgut: Schimpanse und Mensch (Bild: MPG)
„1,3 % Unterschied klingt eigentlich nicht viel, aber es addiert sich zu einem Heuhaufen von 39 Millionen möglichen Unterschieden. Die wenigen Unterschiede zu finden, die tatsächlich etwas bewirken, ist die eigentliche große Herausforderung“, sagt Wolfgang Enard, der Erstautor der zugehörigen Studie, die im Fachblatt Science veröffentlicht worden ist. Bei ihrer Suche waren die Forscher um Svante Pääbo vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie dennoch erfolgreich: In der Genexpression, also der Benutzung von Genen, unterscheiden sich Mensch und Primaten bestehen offenbar deutlicher als in den Genen selbst.
Wird ein Gen im Erbgut einer Zelle verwendet, wird zunächst im Zellkern eine Kopie davon erstellt. Dieses „Boten-RNA“ genannte Molekül gelangt dann in der Regel zu den Ribosomen, wo die enthaltene Information in ein Protein übersetzt wird. Bei ihrer Arbeit untersuchten die Leipziger Wissenschaftler verschiedene Körpergewebe verstorbener Schimpansen, Makaken und Menschen unter anderem nach dem Gehalt dieser Boten-RNA. Ihre Menge sagt etwas darüber aus, wie stark ein Gen an einem bestimmten Ort benutzt wird.
Genexpression bei Schimpanse (links) und Mensch (rechts): Je größer die Menge an Boten-RNA, desto schwärzer der Fleck. (Bild: MPG)
Für die Leber fanden die Forscher dabei wenig Unterschiede. Hier ähnelten sich die Genexpression von Schimpanse und Mensch sehr stark, von Schimpanse und Makake weniger. Das war angesichts der engeren Verwandtschaft zwischen Schimpanse und Mensch zu erwarten gewesen. Ganz anders das Bild im Gehirn: Dort hatten sich viermal mehr Unterschiede zwischen Mensch und Schimpanse angehäuft. Offenbar hinkt die Evolution der Gene jener ihrer Verwendung hinterher – die Genexpression ändert sich schneller als die Gene selbst.
Diese Entdeckung ist zum einen ein Ansatzpunkt, um die Anfälligkeit des Menschen für Krankheiten wie AIDS, Malaria oder Alzheimer aufzuklären – Schimpansen erkranken daran deutlich seltener als der Mensch. Zum anderen bedeuten die Ergebnisse der Leipziger Max-Planck-Wissenschaftler jedoch auch mehr Arbeit für sie und ihre Kollegen: Wenn Gen nicht gleich Gen ist, erlaubt die einfache Entschlüsselung eines Genoms wohl nur unklare Aussagen. Das Augenmerk der Forscher wird sich in Zukunft mehr auf das Proteom, also auf die Produkte der Gene richten müssen. Und das ist ungleich schwieriger.