23.2.1981, Putschversuch in Madrid. Aufständische Militärs haben das Parlament gestürmt und die Abgeordneten gefangen genommen. Juan Carlos, der junge König Spaniens, tritt vor die Kameras und befiehlt den Truppen, der Verfassung zu folgen und den Aufstand zu beenden. Ein dramatischer Machtkampf – das Militär gehorcht und Spaniens junge Demokratie ist gerettet. Eigentlich hätte dort als König ein anderer stehen sollen: Juan Carlos verdankt seinen Thron – und damit Spanien wohl seine Demokratie – einer Erbkrankheit.
Alfonso von Spanien, der älteste Onkel Juan Carlos` und designierter Thronfolger, war Bluter. Er hätte Spaniens König werden sollen, aber letztlich zwang ihn die Krankheit 1933 zum Amtsverzicht – wenige Jahre später starb er im Alter von 31 Jahren an den Folgen eines harmlosen Autounfalls. Die Rolle des Kronprinzen übernahm daher sein Bruder Juan, der Vater von Juan Carlos, und so gelangte Juan Carlos als Neffe Alfonsos 1975 auf den Thron.
Bluterkranke können selbst an kleinen Wunden verbluten, vermeintlich harmlose Prellungen sind oft lebensgefährlich und Operationen meist tödlich. Wird bei gesunden Menschen ein Blutgefäß verletzt, verschließt schnell ein Gerinnsel die Wunde. Bei Bluterkranken ist einer der dafür nötigen Gerinnungsfaktoren durch eine Mutation gestört. Schon eine ungeschickte Bewegung im Schlaf kann eine gefährliche innere Blutung auslösen.
Im Fall der so genannten klassischen Hämophilie oder Bluterkrankheit liegt das betroffene Gen auf dem X-Chromosom. Weil Männer von diesem Chromosom nur eine Kopie besitzen, kommt die klassische Hämophilie fast nur bei ihnen vor: Bei Frauen kann das zweite, gesunde X-Chromosom den Schaden meist ausgleichen. Nur die gemeinsamen Töchter eines Bluters und einer Überträgerin können ebenfalls bluterkrank sein. Solche Kinder sterben zwar oft bereits im Mutterleib, jedoch sind einige Fälle von Bluterinnen bekannt. Für sie ist schon die Menstruation lebensgefährlich, auch wenn diese Blutung zunächst durch das Zusammenziehen der Blutgefäße gestoppt wird.
Jede erbliche Krankheit nennt man Erbkrankheit. Wie die Bluterkrankheit bei Frauen sind die meisten Erbkrankheiten selten, weil zwei veränderte Gene zusammen treffen müssen, um sie auszulösen. Das veränderte Gen ist in diesem Fall rezessiv, weil es ein gesundes Gen genügt, um den Schaden des anderen auszugleichen. Das gesunde Gen ist dominant. Dominante lebensgefährliche Erbkrankheiten werden meist nicht vererbt, weil die Träger der Erbanlage das fortpflanzungsfähige Alter nicht erreichen.
Die Einteilung in dominant und rezessiv wird auf alle genetisch bedingten Merkmale angewandt. So ist beispielsweise die Haarfarbe schwarz dominant gegenüber blond – ein Gen für schwarzes Haar genügt, und der Mensch hat schwarze Haare. Das bedeutet allerdings auch, dass zwei schwarzhaarige Eltern ein blondes Kind bekommen können, weil beide unbemerkt ein Gen für blondes Haar tragen können. Wie rotblonde Menschen zeigen, müssen jedoch nicht alle Gene dominant oder rezessiv sein: Manchmal mischen sich die Merkmale, in diesem Fall Gene für rotes und für blondes Haar.
Nur selten sind Krankheiten die Folge eines einzigen, veränderten Genes – ein Umstand, der zum Beispiel die Einsatzmöglichkeiten der Gentherapie stark beschränkt. Meist spielen auch bei erblichen Krankheiten nicht nur mehrere Gene, sondern auch Umwelteinflüsse eine Rolle. Ein Beispiel sind Krebserkrankungen: Viele beteiligte Gene summieren sich dabei zu einem Krebsrisiko, das jedoch erheblich vom Lebensstil beeinflusst wird. Dazu kommen manchmal noch Infektionen, wie etwa beim Gebärmutterhalskrebs, der von einem Virus ausgelöst wird.
Zumindest für die Bluterkrankheit ist der Fall klar: Alfonso von Spanien hat das veränderte Gen von seiner Großmutter, der Königin Victoria von England geerbt. Diese war vermutlich durch eine spontane Mutation in der Keimzelle zur Überträgerin der Hämophilie geworden. Unter ihren Vorfahren sind jedenfalls keine Bluter bekannt, was heute allerdings schwierig nachzuvollziehen ist: Bis zum 18. Jahrhundert war das Schröpfen die gängigste Methode gegen eine Vielzahl von Krankheiten, was Bluter schon bei ihrer ersten Begegnung mit einem Arzt das Leben gekostet haben dürfte. Klar ist, dass Queen Victoria die Krankheit in die europäischen Fürstenhäuser gebracht hat. Zwar war nur einer ihrer fünf Söhne, Leopold von Albany, selbst ein Bluter; er starb mit 31 Jahren. Drei der fünf Töchter der Queen waren jedoch Überträgerinnen der Krankheit. Durch die enge Verknüpfung der Königshäuser und durch die übliche Sitte, schon Cousins und Cousinen zu verheiraten, breitete sich die Hämophilie schnell in den Königsfamilien Englands, Deutschlands, Spaniens und Russlands aus – eine Krankheit, die Geschichte gemacht hat.